Der römische Gott Janus liebte die Nymphe Carna und schenkte ihr als Entschädigung für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit einen Weißdornzweig, der alle böse Macht fern von den Türen halten konnte. Der Monat Januar hat seinen Namen von diesem Gott erhalten. Der oft mit zwei Gesichtern darge-stellte Janus war die Schutzgottheit des An-fangs und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Türen und der Tore. Bei den Kelten hingegen sym-bolisierte der Weißdorn die große Göttin, die die aufblühende Natur verkörperte und sich beim kel-tischen Jahreskreisfest Beltane mit dem Sonnen-gott vereinigte.
Der Weißdorn (Crataegus) ist unter zahlreichen Volksnamen bekannt: Hagedorn, Heckendorn, Hagapfel, Mehlbeerbaum, Mehldorn und Mehlfässel, die alle ein Hinweis auf verschiedene Eigenschaften des Weißdorns sind. Der Name Weißdorn bezieht sich auf die auffälligen wei-ßen Blüten und die dornigen Zweige der Pflanze. Hagedorn leitet sich vom mittelhochdeut-schen „Hag“ ab, der ein durch Hecken abgegrenztes Gelände beschreibt. Der wehrhafte Ha-gedorn diente früher oft dazu, Gelände zu „umzäunen“ und vor unbefugtem Betreten zu schützen. Hagapfel verweist auf die apfelähnlichen Früchte, während Mehlfässel den mehli-gen Geschmack der Früchte und deren fassartige Form beschreibt.
(Aus: Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé Flora von Deutsch-land, Österreich und der Schweiz 1885)
Der Weißdorn wurde bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. vom griechischen Arzt Pedanios Dios-curides erwähnt, spielte jedoch in der Antike noch eine eher untergeordnete Rolle als Heil-pflanze. Erst ab dem 14. Jahrhundert begann man, die Heilkraft des Weißdorns gegen Gicht und Blasensteine sowie bei der Behandlung von Zähnen und Warzen zu nutzen. Dass er auch herzstärkende Wir-kung hat, fand man erst im 19. Jahrhundert heraus.
In mythologischen Überlieferungen wurde dem Weißdorn eine besondere Schutzfunktion zugeschrieben. Er galt als Abwehrmittel gegen böse Einflüsse wie Verhexungen oder Geister. So befestigte man zum Beispiel Weißdornzweige an Stalltüren, um das Vieh vor üblen Mächten zu schützen. Im 18. Jahrhundert flocht man Tore aus Weißdornzweigen, durch welche Kranke hindurchgehen mussten, um sich von Dämonen zu befreien, die sie angeblich befallen hatten. Und aus Weißdornholz gefertigte Kin-derwiegen sollten verhindern, dass Kinder von Feen gegen „Wechselbälger“ ausgetauscht würden.
Im Christentum ist der Weißdorn mit seinen weißen Blü-ten ein Symbol der reinen Jungfrau Maria. Laut Legende soll die Dornenkrone, welche die römischen Soldaten Je-sus als Zeichen der Verspottung aufs Haupt setzten, aus Weißdornzweigen geflochten worden sein. Das dabei vergossene Blut habe die Enden der Staubfäden des Weißdorns rot gefärbt, was die Pflanze zu einem Symbol für Unglück und Tod werden ließ. Zum Schluss noch eine Anmerkung zum botanischen Namen „Crataegus“: Er lei-tet sich vom griechischen Wort „krataiós“ ab, was so viel wie fest oder stark bedeutet. Weißdornholz ist nämlich sehr dauerhaft, hart und schwer spaltbar. Und so verwundert es nicht, dass man in früheren Zeiten aus dem Holz sowohl Werkzeugstiele als auch Spazierstöcke anfertigte. Als der Heilige Josef mit Maria und dem Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten war, soll er sich daher auf einen Stab aus Weißdornholz gestützt haben!
Text: Antje Peters-Reimann